Diskussion
Sauberer und bezahlbarer Wasserstoff in der Wärmewende
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Moleküle gesucht
Warum Wasserstoff überhaupt eine Rolle spielt
Die Bedeutung von Wasserstoff im künftigen deutschen Energiesystem erschließt sich im Allgemeinen erst aus einer Analyse energiesystemischer Zusammenhänge, insbesondere dem Anteil fluktuierender Energien an der sektorscharfen Energiegestehung sowie der dafür erforderlichen Energieinfrastrukturen für Strom (Elektronen) und Moleküle (feste, flüssige und gasförmige Energieträger).
Zum Einen hat sich seit 1990 der Primärenergieeinsatz Deutschlands von insgesamt 14.905 PJ auf 10.735 PJ, d.h. um ca. 28% verringert. Bis 2030 soll er um insgesamt 41,5%, und bis 2045 sogar auf ca. 6.458 PJ, also um insgesamt 56,7% ggb. 1990 weiter sinken. Diese Veränderung begründet sich allerdings nicht nur aus Einsparungsanstrengungen sondern aus von dem ggb. fossilen Energien anderen Bewertungsansatz erneuerbarer Energien (Wirkungsgrad 100%).
Der Anteil erneuerbarer Energien hat sich seit 1990 von 196 PJ auf 2.107 PJ in 2023 erhöht, d.h. um fast 20% und soll bereits bis 2045 nach einer Studie von Agora Energiewende (2021) auf nahezu 100% des Gesamtprimärenergieverbrauches weiter anwachsen. Allerdings besteht dabei noch große Unsicherheit, welcher Anteil erneuerbar hergestellten Stromes in den unterschiedlichen Verbrauchssektoren direkt zum Einsatz kommen soll bzw. über den Umweg einfacher speicher- bzw. transportierbarer flüssiger (synthetische Kraftstoffe, Methanol, Ammoniak) oder gasförmiger (Wasserstoff) Energieträger. Dieses vor allen Dingen, da die direkte Speicherung von Strom in Batterien und der Transport via Hochspannungsnetzen als deutlich investitionsintensiver gelten.
Da der Flexibilitätsbedarf bei einem noch großen Anteil speicherbarer Primärenergie (Kohle, Erdöl, Erdgas) kaum ins Gewicht fällt, wird die Herausforderung zur Maßnahmenumsetzung in der Öffentlichkeit erst sehr spät erkennbar, im schlimmsten Fall, wenn hochinvestive Maßnahmen bereits in die falsche Richtung gelenkt wurden. So wurde in einer 2019 veröffentlichten Studie analysiert, welchen Einfluss der mittel- und langfristige konsequente Aufbau batterie- oder wasserstoffbetriebener Fahrzeugflotten auf die Strominfrastruktur und hier insbesondere des engpaßbedrohten Verteilnetzes haben würde. Ergebnis war, dass vor allen Dingen in der Eskalation dieses Ausbaus mit der konsequenten Einführung von Wärmepumpen und stark zunehmenden Einspeisung von PV- und Windstrom im Verteilnetz mit drastischen Versorgungsengpässen zu rechnen sein wird. Diese werden dabei mehr in Kleinstädten und ländlichen Regionen als in Ballungsgebieten erwartet. So meldeten vor Kurzem zumindest temporär auch eine süd- und eine norddeutsche Region Engpässe im Stromverteilnetz aufgrund einer beherzten Anschlussnachfrage von Wallboxen zur Batterie-Pkw-Ladung sowie Anschlüssen von elektrischen Wärmepumpen für Privathaushalte.
Zusammengefasst gilt die Erkenntnis, dass Wasserstoff als Energieträger und seine Derivate investitionskostenintensive Stromnetzengpässe vermeiden helfen. Eine konsequent koordinierte Planung von Strom- und anderen Energieinfrastrukturen (insbesondere Gasnetz) wird bereits kurzfristig erforderlich sein, um verlorene Stromnetz-Investitionen zu vermeiden. Obwohl im Maßnahmendetail sektoraler Verwendung z.T. noch kontrovers diskutiert herrscht Einigkeit darüber, dass Wasserstoff eine tragende Rolle im künftigen Energiesystem spielen wird.
Politische Maßnahmen
Evolution des Wasserstoffeinsatzes über die Sektoren
Die nationale Wasserstoff-Strategie Deutschlands in ihrer ersten Fortschreibung vom Juli 2023 legt die Leitplanken für mögliche Entwicklungspfade zu seiner Herstellung und Nachfrage bis 2030 fest. Danach soll eine Elektrolysekapazität von 10 GW für die Herstellung von grünem Wasserstoff und eine H2-Gesamtnachfrage von 95-130 TWhH2/a inkl. der H2-Derivate Ammoniak und Methanol unterstützt werden. Damit soll die deutsche Industrie bei der Kompetenz- und Kapazitätsentwicklung eines internationalen Wasserstoffleitmarktes unterstützt werden. Bis 2045 soll sich die H2-Nachfrage sogar auf 360-500 TWhH2/a an Wasserstoff sowie etwa 200 TWhH2-Der./a an Wasserstoffderivaten erhöhen.
In Erfüllung der nationalen Klima- und Wasserstoffstrategie befinden sich derzeit vielfältige konkrete Maßnahmen in Planung oder Umsetzung, wie z.B.:
- H2-Kernetz: Initiierung und Aufbau einer bundesweit wachsenden H2-Gastransport-, -verteil- und -speicherinfrastruktur als zentraler Bestandteil des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG),
- H2-Beschleunigungsgesetz: Entbürokratisierung beim Aufbau grüner H2-Erzeugungskapazitäten,
- Kraftwerksstrategie: Einführung flexibler und H2-tauglicher Stromerzeugungskapazitäten,
- H2Global: Institutionalisierung eines Förderinstrumentes für Entwicklung internationaler H2-Märkte mit einem Fokus auf den H2-Importen nach Deutschland,
- H2-Importstrategie: Öffentliche Unterstützung bei der Etablierung deutscher H2-Importpfade,
- IPCEI (Important Projects of Common European Interest): substanzielle Ko-Förderung großer europäischer H2-Implemetierungsprojekte entlang voller H2-Wertschöpfungsketten in Deutschland,
- Renewable Energy Directive (RED III) und Alternative Fuels Infrastructure Regulation (AFIR): Nationale Umsetzung der Einführung erneuerbar hergestellter Mobilitätskraftstoffe und deren Bereitstellungsinfrastruktur sowie
- Carbon Management Strategie (CMS): Regelung der Bedingungen für die Bereitstellung von blauem Wasserstoff (CO2-armer H2) in Deutschland.
Ein Hauptaugenmerk der H2-Bereitstellung liegt dabei in der Erfüllung der europäischen Klimaschutzziele. Diese sollen vor allen Dingen durch die Priorisierung grünen, d.h. CO2-frei hergestellten Wasserstoffs erzielt werden. Damit soll grundsätzlich zwar auch der Einsatz von blauem, d.h. CO2-arm hergestelltem Wasserstoff ermöglicht werden. Dieses jedoch nur unter der Bedingung, dass blauer Wasserstoff nur temporär und als produktionskostendämpfende Maßnahme importiert und des Weiteren nicht öffentlich gefördert wird. Letzteres Argument beruht auf der Annahme, dass grüner im Gegensatz zu blauem Wasserstoff erst mittelfristig ein wettbewerbliches Kostenniveau erreichen wird, da auch die erneuerbaren Erzeugungskapazitäten sowohl für die heimische Produktion als auch Importe erst mittel- bis langfristig zur Verfügung stehen.
Eine weitere Alternative zur Herstellung von blauem Wasserstoff aus Erdgas mit Hilfe der Dampfreformierung und Endlagerung des so als Nebenprodukt der H2-Herstellung entstehenden Wasserstoffs stellt die Methanpyrolyse dar. Bei dieser entsteht als Nebenprodukt fester Kohlenstoff, der danach so genutzt (CCUS: Carbon Capture & Utlilization) oder ebenfalls endgelagert (CCS: Carbon Capture & Storage) werden muss, um die H2-Produktion zumindest CO2-arm und damit kompatibel mit den Vorgaben der Klimapolitik zu machen. Die Methanpyrolyse befindet sich jedoch im Vergleich zur Methan-Dampfreformierung noch in der frühen Entwicklung. Auch die Entstehung von neuen Märkten für festen Kohlenstoff ist dabei noch ungewiss.
Sog. H2-Derivate wie Ammoniak oder Methanol spielen für die H2-Endanwendung eher keine Rolle. Stattdessen sollen sie für den kostengünstigen grünen H2-Transport über lange Strecken oder die H2-Speicherung in großen Mengen zum Einsatz kommen, bedürfen jedoch ca. 30% des Energieeinsatzes für die Umwandung aus und zurück in reinen Wasserstoff. Alternativ kommen die Derivate in relevanten Anwendungen (Ammoniak: Düngemittelherstellung; Methanol: Chemie- und Kunststoffindustrie) direkt zum Einsatz und sparen so den Umwandlungsschritt zurück in H2. Ammoniak und Methanol können aber einen Teil der H2-Importe nach Deutschland über weitere Entfernungen kostengünstiger übernehmen und damit den Import via dem H2-Gasnetz über kürzere Strecken (innerhalb Europas und aus Nordafrika) übernehmen. Derzeit geht das BMWK von einer Aufteilung heimischer zu den importierten H2-Mengen im Verhältnis von ca. 30:70 aus, was sich aber noch zugunsten größerer heimisch produzierter H2-Anteile ändern könnte.
Zwei weitere wichtige Begriffe, deren Verständnis bzw. Veranschaulichung des künftigen systemischen Beitrags von Wasserstoff im Energiesystem wichtig sind, sind „Sektorenkopplung“ und „Power-to-X (PtX)“. Unter Sektorenkopplung wird im Allgemeinen die gleichzeitige Erschließung relevanter Energie-Endverbrauchssektoren (Stromgestehung, Verkehr, Haushalte, Industrie, Gewerbe, Landwirtschaft und Sonstige) durch eine wirtschaftlich effizientere Nutzung gemeinsam genutzter H2-Transport-, -Verteil- sowie –Speicherinfrastrukturen. Zum Anderen wird unter Sektorenkopplung aber auch die abgestimmte Entwicklung der öffentlichen Energieinfrastrukturen für Strom und Wasserstoff unter Aufsicht der Bundesnetzagentur verstanden, die zwar bereits mehrfach eingefordert aber noch nicht umgesetzt wurde. Letztere Aufgabe ist hochkomplex, da die dynamische Nutzung und entsprechende Auslegung beider Infrastrukturen durch Simulationen aufeinander abzustimmen sein wird.
Mit dem Begriff PtX wird die Begriffsfamilie der aus erneuerbarem Strom hergestellten und auf Molekülen basierenden flüssigen oder gasförmigen Energieträger bezeichnet. Zu Beginn aller Energieträgerketten steht dabei Wasserstoff als einfachstes Molekül, aus dem in nachfolgenden Schritten je nach Verwendungszusammenhang bzw. mit dem Kalkül der einfacheren Transportier- und Speicherbarkeit sogenannte H2-Derivate wie z.B. Methanol, Ammoniak und gasförmige und flüssige Kohlenwasserstoff mit ihren jeweiligen Vor- und Nachteilen hergestellt werden. Alleinige Ausnahme ist PtH, bei dem erneuerbare direkt in Wärme umgesetzt wird. Mit jeder Umwandlung (hin zu H2 und ggfs. zurück) geht jedoch jeweils ein energieraubender Prozessschritt einher, dessen Relevanz für die unterschiedlichen Prozess daher jeweils genau zu prüfen ist.
Die Entwicklung der Nutzung von Wasserstoff bis ca. 2010 konzentrierte sich auf die Anwendung im Pkw, da hier am ehesten Kostenparität mit den fossilen Kraftstoffen erwartet wurde, Ein noch breiterer Akteurskonsenz zur Einführung der Batteriemobilität hat jedoch mittlerweile die Entwicklungsziele hin zum H2-Einsatz in der Großindustrie, vaD. der Stahlherstellung und Chemieindustrie („alternativlos“) und im Schwerlastverkehr, vaD Stadtbussen, Langstrecken-Lkw und Sonder-Nutzfahrzeugen („Kostenparität“) verschoben. Dabei spielte der gezielt kostengünstigere und regional fokussierte Aufbau der H2-Gasnetzinfrastruktur eine entscheidende Rolle. Für die Wasserstoff-Verwendung in allen anderen Sektoren wie z.B. der Schiff- oder Luftfahrt, in der Landwirtschaft und vor allen Dingen im Wärmesektor gibt es ebenfalls vielfältige Entwicklungsanstrengungen, für deren Umsetzung jedoch noch mengenmäßige, technische, logistische sowie wirtschaftliche Herausforderungen und Lösungen breiter diskutiert werden.
Dynamische Einordnung
Wasserstoff-Nutzungen im Gebäudesektor
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Die Endkundenpreise für grünen Wasserstoff sollen gem. [DVGW 2023] langfristig nicht über denen von Erdgas liegen. Der Deutsche Verein des Gas- und Wasserfaches (DVGW e.V.) erwartet 2045 ein vergleichbares Niveau, für 2035 wird ein Kostenniveau von 12-17 ct/kWh erwartet.
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Ausblick H₂ in Gebäuden
Zukünftige H₂-Anwendungen in Gebäuden und Quartieren
Die Bereitstellung von Wasserstoff (H2) als Energieträger kann zentral, dezentral oder kombiniert dezentral und zentral erfolgen.
Zentrale H2-Bereitstellung
Wasserstoff lässt sich in Pipelines effizient gasförmig transportieren. Dazu kann weitestgehend die bestehende Gasinfrastruktur nach einer Umrüstung genutzt werden. Die Umstellung der Gasnetze ist mehrstufig geplant. In einem ersten Schritt soll im Rahmen der Hydrogen Backbone Initiative ein reines H2 Kernnetz entlang der Erdgas-Transportleitungen durch Umrüstung paralleler Leitungsstränge und Lückenschlüsse durch Neubau bis 2030 aufgebaut werden. An dieses zentral-organisierte H2 Kernnetz sollen parallel zum Aufbau die großen H2-Bedarfsträger der “hard to abate” Industrie angeschlossen werden. An dieses zum aktuellen Erdgasnetz parallel aufgebaute H2 Kernnetz könnten in weiterer Folge auch die Verteilnetze angeschlossen bzw. auf H2 oder eine Beimischung von H2 zu Erdgas umgestellt werden.
Dezentrale H2-Bereitstellung
Der Energieträger H2 lässt sich dezentral mittels der Elektrolyse-Technologie aus Wasser (H2O) mit Strom abspalten. Anschließend kann dieser als saisonale Langzeitspeicher Vor-Ort mittels unterschiedlicher Technologien über lange Zeiträume (Sommer/Winter) speichern. Bei Bedarf kann mittels der Brennstoffzelle der Wasserstoff unter Beigabe des Luftsauerstoffs wieder in Strom und Wärme rückgewandelt werden.
Kombinierte dezentrale und zentrale H2-Bereitstellung
Auch eine kombinierte dezentrale und zentrale H2 Bereitstellung in Analogie zu Strom ist ebenfalls möglich.
H2-Anwendungen in Gebäuden und Quartieren
• Verbrennung von H2 in Brenner
• Verstromung von H2 in Brennstoffzelle
• Kombinierte Nutzung über Hubkolbenmotor oder Brennstoffzelle
H2 als Ersatz für Erdgas zur Bereitstellung von Raumwärme und Warmwasser
H2 als Ersatz für Erdgas bei Combined Heat and Power (CHP) Geräten
Umweltbewertung und Kennwerte
Methodik der H₂-Umweltbewertung und Kennwerte der Wasserstoff-Anwendungen in Gebäuden und Quartieren
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Einzelnachweise
[DVGW 2023] Was kostet der Wasserstoff in Zukunft? Eine Einordnung zukünftiger Wasserstoffkosten für die Wärmeversorgung in Deutschland DVGW-Studie zu Wasserstoffkosten für die Wärmeversorgung in Deutschland, 26. Oktober 2023, erstellt durch Frontier Economics , abgerufen 2024-11-1: https://www.dvgw.de/medien/dvgw/leistungen/publikationen/dvgw-frontier-h2-preise-und-kosten-factsheet.pdf